Dienstag, 29. Mai 2012

Unitagebücher: Trunkenheitsfragmente, Premiere und das Wochenende


Ja.
Jetzt hab ich wieder eine Premiere hinter mir. Ich habe mir geschworen nie wieder an der Studiobühne zu spielen. Dann habe ich den Schwur zurück gezogen und gesagt: Ich probe nie wieder zur Unizeit, weil im Ernst, wieso was gutes wegwerfen? Dann habe ich das zurückgezogen und gesagt, ich will im Herbst wieder was spielen, weil das Stück, das noch geheim ist, sich ziemlich cool anhört.
Jetzt steh ich hier ich blöder Tor und bin als frei als wie zuvor.

Die Premiere verbrachte ich diesmal mit einem ganz anderem harten Kern. Nachdem die schöne Juristin das Jahr Theaterpause macht und der große Blonde erstaunlich früh nach Hause ging ist der überaus große Unianteil von fünf Leuten begleitet von zwei Schülern noch in irgendeiner Küche verschwunden. Meine zukünftige Dozentin, die ich glaube ich noch nie hier erwähnt habe, obwohl ich jetzt die dritte Produktion mit ihr habe, begleitete ich dann noch nach Hause und das wars auch schon. Dieses "schon wieder" war um halb Sieben Morgens, aber ich bin in meinem eigenem Bett aufgewacht. Und dieses Mal war ich mir auch sicher. Von den anderen Eskapaden die in der Nacht passiert sind will ich nicht erzüählen. Aber ich muss sagen, dass ich meinen neuen Meister in einem Kommilitonen gefunden habe. Einen Kater gabs diesmal auch nicht, wohl weil ich davor 27 Euro meines hart verdienten Geldes in der Pizzeria gelassen habe, aber die Müdigkeit war zwei Tage lang mein Freund.
Ich muss nicht erwähnen, dass der nächste Tag auf der Arbeit leicht überfordernd war?

Anyway: Um meinen seit Wochen, wenn nicht Monaten, ersten komplett freien Tag zu feiern, jener welche Gestern war, habe ich entschlossen euch mal zu zeigen was ich vorbereitet habe zu schreiben, aber nie fertig gebracht habe. Die Geschichte dazu ist die: Wenn ich regelmäßig um ein uhr Nachts von der Kneipe nach dem Theater heimkomme, und im leicht angetrunkenem Zustand noch nicht gewillt bin Heia zu machen, setzt ich mich an meinen Rechner und tippe irgendwelche Gedanken, die mir in dem Moment aufschreibungswert erscheinen.
Die ersten beiden sind solche Fragmente und das dritte war der Abschluss des Wochendurchgangs, den ich wegen keine Zeit leider nie zu Ende bringen konnte.

***

Was ist es das uns antreibt?
Der Gedankengang schwebt in meinen Kopf hin und her. Er nervt mich so lange bis, ich beschließe ihn niederzuschreiben. Eine der spontanen Schriften, nichts, das konstruiert und durchdacht ist. Also weiß ich noch nicht genau wie dieser Text hier enden wird. So wie ich es sehe, habe ich im Moment drei Möglichkeiten. Die erste ist es eine halbgare Lebensweisheit von mir zu geben, aber das ist ja nun wirklich nicht der Stil, auf den ich hinaus will. Ich weiß zu gut, dass ich so eine doofe allgemeine Frage nicht stellen kann, und dann tatsächlich eine handfeste Antwort darauf geben kann.
Mit dem Herren Baron unterhielt ich mich kürzlich darüber. Ich mag es durchaus in die Tiefe zu gehen, aber ich würde es mir nicht anmaßen die Oberfläche zu verlassen. Darunter befindet sich zu viel Persönliches, und da kann ich nur von meiner eigenen Persönlichkeit sprechen.
Die nächste Möglichkeit ist die, dass ich Obszön werde. Ich könnte den Hank Moody spielen und sagen: „It's that one piece of pussy.“ und hoffen, dass das Augenzwinkern richtig verstanden wird, und dieser Grat zum Plumpen hinweg nicht überschritten wird. Nur ist mir das ein wenig zu heikel, und obszön kann ich vor Leuten sein, die mir tatsächlich egal sind.
Dann könnte ich verträumte Augen bekommen und romantisch werden. Ich könnte von Liebe sprechen, und sie vielleicht in Worte fangen, die dem ein oder anderen mit etwas Glück vertraut vorkommen. Ich könnte das als Ausrede verwenden, um meine eigenen romantischen Abenteuer zu verarbeiten, und für einen Moment war ich sogar gewillt das zu tun, aber dann verließ es mich wieder. Das will doch keiner hören. Ich jedenfalls würde es nicht hören wollen.
Die geheime vierte Möglichkeit wäre es einfach ins Bett zu gehen und auszunüchtern.

***

Ich beginne den Anblick von Word, Open Office und allen anderen Schreibprogramm zu hassen. Das digitale Blatt schaut mich so herausfordern an, sagt mir „Fülle mich, zeig was du drauf hast!“ Und mein verfluchter Stolz kann nicht anders, als genau das zu versuchen. Wenn es mir gelingt bin ich nicht zufrieden, weil ich aus dem Sieg gerne ein Massaker gemacht hätte und wenn ich es nicht schaffe, dann muss ich den Schwanz einziehen und langsam verschwinden, mich davon schleichen wie der Feigling der ich dann bin. Angst vor der weißen Fläche...
Und so ende ich immer wieder hier, glaube die Wahrheit in wenige Worte fassen zu müssen und dabei entblöße ich nur mich selbst. Aber das ist das was man so tut, hm? Am Ende stehen da die Leute, und haben einen Einblick in die Tiefen des Autors gewonnen zu haben. Es ist wahr. Ich bin der Autor. Aber ich bin auch Fiktion. Das lyrische Ich, wie man so schön sagt, ich augenscheinlich nicht von dem Autoren zu trennen, aber doch etwas ganz anderes. Wenn ich also hier schreibe, dann bleibt letztlich von mir so viel übrig wie von dem Schauspieler auf der Bühne. Auch das bin ich natürlich, wenn ich hier schreibe. Man erkennt freilich in dem Gestus des Mannes da vorne, dass er sich verstellt, und wenn man ihn gut kennt, erkennt man seine eigene Ader in ihm, aber wichtig ist doch das eine: Wenn er da oben steht und spielt, spielt er. Völlig egal, ob er sein eigenes Ich als Referenz verwendet, oder nicht.
Der Text, den ihr hier lest ist natürlich voll und ganz aus einem Kopf entsprungen und damit nichts anderes, als die Gedanken eines echten, empirischen Autors. Aber wenn der Schauspieler auf der Bühne etwas verkörpert, dann lügt er genauso. Was ich wohl versuche hier zu sagen ist folgendes:
Alles was ich schreibe ist gelogen. Ihr könnt versuchen von dieser Lüge auf die Wahrheit zu schließen, und den empirischen Autor hinter dem fiktiven wieder zu finden, aber letztendlich könnte es auch nur sein, dass ich gerade eine gute Folge
Mad Men gesehen habe und mir gerade danach ist etwas zu verkaufen, was mir gar nicht liegt.
Und das sind so die Sachen, die mich davon abhalten zu schreiben. Kann ich einen gewaltsamen Mord beschreiben, ohne das jemand sich Sorgen macht? Oder eine Vergewaltigung? Und wenn man sich als Leser dann denkt, dass das zu weit von der Psyche des Autors entfernt ist, dann kann man das über jeden anderen Gedanken genauso denken. Ein gewisser dunkler Ort ist immer da, aus dem Dinge gezogen werden, die so gar nicht in die Alltagsgedanken des Autors passen.
Dann wiederum ist irgendwann der Wein alle, und der Autor hat keine Lust sich mehr Metagedanken über seine Schriften zu machen.

(Ihr erkennt ein gewisses Muster hinter dieser Ausbrüchen?)

***

(Hier wäre gestanden wie unsinnig doch das „probädeutische Wochenende“ war, in dem jeder ÄDP-Einführungsseminarler gezwungen wird zu gehen, um zu lernenw as Universität bedeutet. Als jemand der seit der zehnten Klasse endlich selbstverantwortlich lernen will, ist das Blut, Hasst und Terror. Und das ging zwei Tage lang.)
In der Abschlussdiskussion wurden wir nach den Worten „Literatur“ - „Wissenschaft“ - „Studium“ gefragt. Am Anfang war ich total kooperativ. Ich malte das Bild von einem rezeptionsorientiertem Literaturbegriff. Einige ganz andere sehr sinnige und interessante Herangehensweisen gab es auch noch. Dann kamen wir zur „Wissenschaft“. Relativ schnell kamen wir an einem Punkt an, dass wir hier sind (sogar die Lehrämtler) um uns selber zu bilden, und nicht um ausgebildet zu werden. Die beiden Dozentinnen wollten klar machen, dass wir selber zu Ergebnissen vor allem an uns kommen sollen. Nachdem das der gefühlte hundertste Zaunpfahl war, der meine Peergruppe und mich darauf hinweisen sollte, dass wir ja selbstverantwortlich sind. Ich würde es genießen euch aufzulisten bei welcher Gelegenheit ich alleine durch Lehrkräfte aller Art solche Vorträge gehört habe. Um euch nicht zu langweilen, will ich es abkürzen und sagen: Es waren Elf. Und das sind nur die großen halbstündigen Vorträge, an die ich mich jetzt spontan erinnern kann.
Ich kämpfte schwer gegen meine Expressionsinkontinenz an und warf nicht den Tisch um, mit der Forderung alle einfach raus zu werfen, die das noch nicht begriffen haben. Ich entschied mich für eine hermetischere Methode. Ganz klein behauptete ich erst mal, dass Wissenschaft, wie alles was Menschen so tun, pure Beschäftigungstherapie ist, um die Zeit zu füllen, bis wir sterben. In der üblichen Routine warf ich alle Einwände zu Boden und behielt Recht, ohne wirklich Recht zu haben. Es ist eine große Kunst, die an der Universität herrlich geübt werden kann. Leider sind die meisten Studenten auch noch nicht klüger, als der durchschnittliche Abiturient. Später unterstütze ich weiter die These, dass wir alle nichts wert sind, und es sowieso egal ist was wir tun, Hauptsache wir sind beschäftigt. Durch die Mittel der Rhetorik, der Logik, der Argumentation und genauso denen der Inszenierung, also der Überpräsenz, hatte ich schnell ein paar Anhänger aus der Ecke der Existenzialisten und Nihilisten und auch eine der beiden Dozentinnen meinte, dass der Gedanke stimmt. Das war aber nur der erste Streich.
Danach wollten sie wissen, wie das propädeutisches Wochenende uns gefallen hat. Sie wollten Feedback, und das wollten sie offen und ehrlich. Nach den üblichen „Also mir persönlich kam dieser eine Aspekt naja, ich will nicht sagen überflüssig vor.“ sprang ich schnell auf den „Ja und was sollte das alles jetzt?“ Zug auf. Sehr diplomatisch, wie ich in wenigen hellen Momenten sein kann, wenn ich mir ganz viel Mühe gebe, erklärte ich, dass der Sinn des ganzen – nämlich den Leuten zu zeigen was studieren nämlich bedeutet und wie man das so anstellt – schon verstanden habe, aber dass es doch trotzdem meine Zeit verschwendet, der ich hier als einer bin, der sich tatsächlich selber bilden will. Wenn jemand etwas nicht zustande bringt, dann kann er das selber herausfinden wie das geht. Wir sind ja alle motiviert und selbstbestimmt. Wozu sind wir denn alles kluge Menschen.
Der letzte Satz brachte ein bisschen Gelächter hervor. Wieso wohl.
„Wir haben dann trotzdem noch im dritten Semester Leute, die nicht bibliographieren können oder nicht wissen wo sie Sekundärliteratur finden. Neunzig Prozent haben das noch nicht begriffen.“
„Dann wäre doch die eigentliche Frage, ob die hier etwas verloren haben...“
„Ja, wir können sie auch alle durchfallen lassen...“ erwiderte sie, als wäre das keine Option.
Süffisant lächelnd, lehnte ich mich zurück. „Bitte!“ seufzte ich.
Die junge Doktorin lächelte mich an – im vollen Bewusstsein darüber, dass wir gerade davon sprachen von den Anwesenden im Raum etwa drei Studenten weiter kommen zu lassen – und begann zu träumen. „Mir würde dieses Bild von Universität gefallen...“ Und für eine Sekunde verliebten wir uns ineinander. Dann lenkte ihre Kollegin sofort mit einem räuspern ein, man sei ja auch an Zwänge gebunden. Das Argument, dass das Selbstbestimmtsein ja auch erst mal gelernt werden muss, war natürlich nicht falsch, aber wozu waren dann die sieben Vorträge zu dem Thema im Laufe der Schulzeit? Scheinbar für die Katze. (Uiuiui Katziii!)
Damit wurden wir von den zwei Tagen befreit, deren Errungenschaft ist, dass ich weiß, dass eine Monographie auch mehrere Autoren haben kann, und zu welcher Dozentin ich gehe, wenn jemals die Ältere deutsche Philologie vertiefe.

Nachtrag: Die beiden Dozentinnen sind wie ich inzwischen herausgefunden habe Stammkunden in meiner Kneipe und ich mag es sie mit soviel Kellerbier und Spezi zu versorgen, wie ich kann. Wir hatten dann auch nochmal darüber geredet und sind uns schwer einig was die Lehrämtler und andere Idioten angeht. Es ist immer wieder schön zu sehen wie andere Menschen die selben Probleme haben. Es zeigt einem, dass man nicht alleine und nicht zu fremd dem Rest der Welt ist.

1 Kommentar:

  1. das ist doch gerade das faszinierende an der freiheit: dass man einmal getroffene entscheidungen wieder verändern kann...

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