Sonntag, 24. Juni 2012

Unitagebücher: Glückskind


Er wusste nicht wie oft er jetzt schon betrunken die Treppe hinauf gestolpert war. Gestolpert ist vielleicht nicht das richtige Wort. Es war schon lange kein Problem mehr, Die Treppen hoch zu steigen hatte er nüchtern schon oft genug geübt und auch betrunken war es nunmehr ein Kinderspiel. Aber sedes mal war eine dieser „blauen Blumen der Realität“ da, die ihn niederdrückte, so sehr nach unten, dass er fast meinte er müsste die Stufen zwei mal hoch laufen. Die Aussicht aber in wenigen Sekunden mit tauben Gliedern auf seinem Schreibtischstuhl zu versumpfen und diese Zeilen zu schreiben machten den Aufgang zu einem Kinderspiel.
Da hatte er wieder das Problem. Will er das zu einer Liebesgeschichte machen und vergessen um was es eigentlich geht, wenn er dem Leser nur sagt „Jaa, da ist wieder eine...“?
Eigentlich nicht. Aber bisher wusste er noch nicht was er gegen diesen Eindruck tun konnte. Es gab immer den einen „crush“ von dem er sich zum nächsten hangeln musste. Aber über die langen (langen?) Jahre als Single schienen sie schon ewig keine Rolle mehr zu spielen. Das sind eben immer so Phasen. Den Preis den man zahlen muss.
Ein geringer Preis. Er lies sich all die Blumen gerne durch die Lappen gehen, wenn er dafür sein Leben wie es ist weiterführen konnte. Und zufrieden mit tauben Gliedern in seinen Schreibtischstuhl zu fallen, um diese Zeilen zu schreiben.
Nur nagt sie da wieder, die blaue Blume. Diese Fernwehe, die ihn irgendwo hin zieht, von seinem Stuhl hinaus durchs Fenster, durch den sternenklaren Nachthimmel, am Mond vorbei an irgendeinen Ort, der weit fern von hier ist.
Der Taugenichts dachte ein wenig darüber nach. Ein Ort woanders. Nicht hier. Mit anderen Menschen. Anderen urgemütlichen Kneipen und anderen Dozenten und Mentoren. Dann könnte er woanders mit tauben Gliedern in seinen Schreibtischstuhl fallen und darüber schreiben.
Aber das konnte er hier ja auch. Der Taugenichts tippte seine Zeilen zu Ende und rollte zufrieden ins Bett. Er wusste, dass das Universum es gut mit ihm meinte. Alles fiel ihm so vor die Nase und er muss es nur noch aufheben. Solange er schön brav mit den Beinen und nicht mit den Rücken hebt, gab es keine Probleme.
Nur war da immer noch diese nagende Angst. Die Angst vor der großen kosmischen Rechnung, die kommt um einzufordern. Wahrscheinlich in Form einer Querschnittslähmung, weil er irgendeine Treppe nach oben runterfällt, oder einer schwangere Exfreundin.
Der letzte Gedanke jagte ihm einen Schauer über den Rücken. Nie wieder Sex, dachte er sich, bevor Morpheus seine Sorgen betäubte.

Donnerstag, 21. Juni 2012

Gefasel: Zu Schön

Nichts weniger als ein künstlerisches Meisterwerk.
Früh stehe ich stramm, um zu salutieren, vor deinem Körper. Am Mittag fressen sich meine Blicke unter deine Kleidung, umschlingen deine Wärme und dringen bis tief in dich ein, bis zum Kern, dass ich ihn essen kann. Am Abend muss ich deinem Körper von Neuem salutieren und mich des nachts in den Schlaf weinen, nur weil ich weiß, dass er da draußen ist, dein Körper und so makellos, so perfekt driftet. Wäre er in dem Moment neben mir, würde ich deshalb weinen müssen, dass er da so liegt und ich es nicht wage würde ihn anzufassen und in ihn einzudringen. Ich weiß ich will ihm nahe sein, ich will ihn in mich aufnehmen, denn nur einzudringen, würde nicht reichen, wäre nicht genug, wäre zu heterogen.
Ich will deinen Körper in mir haben.
Also tue ich hiermit kund, dass ich beschlossen habe dich in Einzelteile zu zerlegen und für immer in mich ein zu bauen. Meiner eigenen ledrigen Haut ziehe ich deinen Samt über, bis kein Stückchen mehr zu sehen ist. Freilich muss ich meine lange Nase und meine großen Ohren abhacken, um in deine enge Hülle zu passen. Die weite Stirn muss ich abschaben und da wo meine großen krummen Zähne sind, müssen deine kleinen Beißerchen sein. Meinen Schädel spalte ich auf, und baue deinen um mein Hirn herum wieder auf. Das Hirn aber will ich behalten, denn niemals will ich das Andenken an dich dadurch zerstören deine Gedanken zu lesen. Deine Stimme bau ich als nächstes bei mir ein, damit ich in zwei Tonlagen reden kann und jeder hört, dass du auch tief in mir drin bist, als ein Teil von mir und aus mir nichts anderes kommt als du, denn von nichts anderem will ich reden. Auch will ich meine Füße absägen und deine anschrauben. Meine Fingernägel will ich abziehen und durch deine ersetzen, damit sie zur Haut passen und es nicht blöd aussieht. Deine Iris baue ich aus und klebe sie auf meinen Augapfel wo sie wie zwei Kontaktlinsen herumrutschen können.
Wenn ich dich dann trage, und du in mir bist, als Teil, dann kann ich die Reste deines Körpers klein schneiden und mit deinen eigenen Zähnen zerkauen und hinunterschlucken, wo ich ihn behalte bis er vollkommen in mir aufgelöst wurde und bald jeder Atemzug wie dein Odem sein wird, denn alles was ich ausatme wirst du sein.
Und dann. Dann habe ich dich in mir und kann dir so nah sein, wie noch nie jemand irgendwem jemals war.
Dann will ich nicht mehr länger leben, sondern an diesem perfekten Augenblick des Glücks will ich scheiden. Also werde ich uns umbringen, meine Schöne. Ich werde uns beide in einen Topf werfen und sämig einkochen, bis wir ein Brei sind und niemand mehr unterscheiden kann wo du beginnst und wo ich aufhöre. Dann sind wir für immer eins und werden zusammen als ein perfektes Gemisch bis wir nicht mehr von uns beiden sprechen können sondern nur noch von einem singulären Wir, das nichts anderes ist als dein Ich und mein Ich in einem einzigen Ich. Und wir können endlich beisammen sein. Für immer.
Wäre das nicht schön? Wäre es nicht zu schön?

Mittwoch, 20. Juni 2012

Unitagebücher: Intermezzo


Er wusste nicht wie oft er jetzt schon betrunken die Treppe hinauf gestolpert war. Gestolpert ist vielleicht nicht das richtige Wort. Es war schon lange kein Problem mehr, Die Treppen hoch zu steigen hatte er nüchtern schon oft genug geübt und auch betrunken war es nunmehr ein Kinderspiel. Jedes mal war eine dieser blauen Blumen der Realität das was ihn niederdrückte, so sehr nach unten, dass er fast meinte er müsste die Stufen zwei mal hoch laufen. Die Aussicht aber in wenigen Sekunden mit tauben Gliedern auf seinem Schreibtischstuhl zu versumpfen und diese Zeilen zu schreiben machten den Aufgang zu einem Kinderspiel.
Da hatte er wieder das Problem. Will er das zu einer Liebesgeschichte machen und vergessen um was es eigentlich geht, wenn er dem Leser nur sagt „Jaa, da ist wieder eine...“?
Eigentlich nicht. Aber bisher wusste er noch nicht was er gegen diesen Eindruck tun konnte. Es gab immer den einen „crush“ von dem er sich zum nächsten hangeln musste. Aber über die langen (langen?) Jahre als Single schienen sie schon ewig keine Rolle mehr zu spielen. Das sind eben immer so Phasen. Den Preis den man zahlen muss.
Ein geringer Preis. Er lies sich all die Blumen gerne durch die Lappen gehen, wenn er dafür sein Leben wie es ist weiterführen konnte. Und zufrieden mit tauben Gliedern in seinen Schreibtischstuhl zu fallen, um diese Zeilen zu schreiben.
Nur nagt sie da wieder, die blaue Blume. Diese Fernwehe, die ihn irgendwo hin zieht, von seinem Stuhl hinaus durchs Fenster, durch den sternenklaren Nachthimmel, am Mond vorbei an irgendeinen Ort, der weit fern von hier ist.
Der Taugenichts dachte ein wenig darüber nach. Ein Ort woanders. Nicht hier. Mit anderen Menschen. Anderen urgemütlichen Kneipen und anderen Dozenten und Mentoren. Dann könnte er woanders mit tauben Gliedern in seinen Schreibtischstuhl fallen und darüber schreiben.
Aber das konnte er hier ja auch. Der Taugenichts tippte seine Zeilen zu Ende und rollte zufrieden ins Bett.

Donnerstag, 14. Juni 2012

Unitagebücher: FÄRZN Stunden oder Macht heißt Verantwortung heißt zur Verantwortung gezogen werden.


Oh, boy.

Da ist jetzt die stressige Endprobenphase im Theater vorbei, aber Ruhe hat man deswegen trotzdem noch nicht.
Es ist Dienstag und der Taugenichts hat mal wieder nichts größeres zu tun. Im Dispostiv (=Unimedienblogt)treffen regt er sich einmal ordentlich über alles auf, und zeigt wie er das viel besser könnte, es aber niemals tun würde. Genau so wie er es damals von seiner Kollegstufe gelernt hatte, als er im Posten der Verantwortung saß. Danach unterhält er sich noch mit der Kollega1 und wartet darauf, dass sein Lieblingsmedienwissenschaftsdozent auftaucht. Er schafft es auch ihre ewige Treue und Mitarbeit bei seiner nächsten Serienunternehmung zu kaufen. Als der Dozent kommt hat er schon eine Horde von fünf Studenten dabei, die ihn belagern und entschließt sich zwanzig minuten später einfach zu gehen, weil das eh gerade alle machen und er keine Lust hat den Herdendrang zu widerstehen, um mit Einsamkeit belohnt zu werden. Außerdem hatte er den Professor ja sowieso morgen in aller Herrgottsfrühe (10 Uhr!) im Drehbuchseminar, wo er danach sehr belästigbar war.

Einige sehr entspannte Stunden bis zur abendlichen Aufführung. Zwei Stück die Woche sind völlig angemessen. Danach der traditionelle Besuch in der Theaterkneipe, die ja auch der Arbeitsort des Taugenichts ist. Die Kollega bedient praktischerweise. Verhängnisvoll. Sehr Verhängnisvoll.
Denn wie es Tradition ist, kommt die Kollega immer noch auf ein sehr gemütliches Feierabendbier vorbei. Diesmal war es eben leider schon Ein Uhr, als es soweit war. Und weil die beiden Serienjunkies sich eben erstmal zwei Stunden lang über die Erkenntnisse der letzten Woche unterhalten mussten, und sich nochmal eine Stunde über die Überlegenheit von Katzen streiten mussten, wurde es eben schnell vier Uhr Nachts. Und dabei ist der Mittwoch doch der Tag des frühen Aufstehens. Schweren Herzens wirft sich die Kollega dann halt selber raus.

Es ist 9:14 Uhr als der Taugenichts sich entschließt einfach nicht aufzustehen. 9:21 Uhr und er muss wirklich mal hoch. Taumelnd macht er sich deine Haferflocken und checkt routiniert alle Neuheiten im Internet, erpresste schnell die Teilnahme an einem Theater von seinem ältesten Bruder2 und erkannte um 9:37 Uhr, dass das Bad ungewöhnlicherweise belegt war. Also wartete er noch bis 9:43 Uhr, um in der Rekordzeit von ocht Minuten zu duschen. Dann in ein wie immer mühevoll ausgewähltes Outfit zu werfen und zur Uni zu fahren, wo der Dozent natürlich wie immer zu spät kam.
Eine Hiwi-Stelle hatte er zwar immer noch nicht für dein scheinbar über motivierten Taugenichts, dafür konnte er aber noch jemanden abpassen der sein Auto zum Campus fährt. Die Taugenichtsin macht das gerne und das kam ihm entgegen, weil er von der komischen Nacht so müde war. Schlafen ist aber nicht, wenn der Fahrer den Weg nicht kann und am engen Uniparkplatz das Einparken mit drei Autos im Nacken nicht hinkriegt.Also gibt’s schnell einen Fahrerwechsel, obligatorischen Hub- und Gestenkrieg mit den wartenden Autos und ein Hetzen zum Hörsaal, weil die Taugenichtsin natürlich wieder viel länger braucht, als alle anderen.
Die Vorlesung kann jetzt aber schön gepflegt verschlafen werden, wie es alle coolen Medienstudenten in der ver-musiktheaterlichten Umgebung machen. „Sound, Performance und Urbanität“. Verflucht. Kein „Hört euch langweilige Fakten über John Cage an und wieso er an allem Schuld ist“-Vortrag, sondern ein „Ich habe einen coolen Weg gefunden um coole Sachen so cool zu machen, dass sie auch in der Wissenschaft noch cool sind!“3 Völlig unmöglich das zu verschlafen.

Danach geht es wieder schnell zurück zu den ausgelagerten Medienwissenschaften, wo ein Münchener Produzent einen weiteren Gastvortrag über Produktion „Von der Idee zum Film“ erzählt. Natürlich waren das zwei Stunden voller alter Informationen. Aber nachdem genug durchschulte Studenten schön ab pinselten wie man sich einen Drehplan schreibt, und warum man erst die Außenszenen bei Tageslicht dreht und dann die Innenszenen, scheint das Niveau von
irgendjemandem wohl getroffen worden zu sein. Dann müssen die Theater und Medienstudenten schnell in der Pause fliehen, weil der Gastvortrag zur Hälfte natürlich mit einer ihrer Pflichtveranstaltungen kollidiert.
In dieser Audiomedienübung gibt’s es einen dritten Gastredner für den Tag, der was von Pressekonferenzen erzählt und mitmacht. Eine Viertelstunde vor Ende beschließt der Taugenichts, dass er nicht direkt von hier zur Arbeit gehen muss, sondern den letzten, überflüssigen „Wir lesen alle unsere Ergebnisse vor und lernen aus den Fehlern der Anderen“-Teil zu axten und lieber noch mal etwas zu essen (Wem ist es aufgefallen? Kein Mittagessen!) und einen Aufputschkaffee zu trinken. In den zwanzig Minuten, die er dadurch zu Hause hat schafft er auch genau zwei Scheiben Toast mit Nutella vom Löffel (Für Aufstreichen ist keine Zeit und kein Messer vorhanden) zu essen und ein Glas Kaffee zu trinken (Glas, weil alle Tassen unterwegs sind. Ja, im Gegensatz zu seinen Vorgängern ist der dritte Mitbewohner echt und braucht tatsächlich Küchenutensilien!) und dann durch den Regen zur Arbeit zu laufen und pünktlich zu kommen! Oh ja, Zeitmanagement lernt er, der Nichtstauger.

Berufsbedingt lernt er jetzt jede Menge über Fußball.
Natürlich kann er es so schon schätzen, wenn ein gut gezielter Schuss genau im richtigen Eck des Tors landet und der Torwart genau im falschen Moment los hechtet. Aber so viele Fakten über Trainer, Mannschaften, Nationen und Spieler hatte er noch nie gehört. Das übliche "Tschuldigung, ich kann in keiner Fußballkonversation sein." läuft auf der Arbeit natürlich nicht.
Auch hat er es noch nie erlebt, dass die Kneipe so still war und nur der Fernseher lief. Und dann plötzlich so laut war und dreißig Körper mit halb jubelnd halb posenden Armen aufsprangen. Das sind die ruhigen, guten Zeiten. Zur Halbzeit und bei Spielende geht’s dann natürlich wieder los, wenn zwanzig Leute zahlen und Zwanzig Leute Nachschub wollen. Aber das ist der Job. Die meisten haben sogar das bekommen was sie bestellt haben. Das die Qualität an Service, die sie von mir zu erwarten haben.
Dirty deeds done dirt cheap. Und mit dirty mein ich hier den wörtlichen Sinn, weil ausgewaschene Gläser weder im Preis noch im Trinkgeld erhalten sind. Draußen ist ein Waschbecken, den Luxus müssen sie sich selber verdienen.
Der großzügige Kollege, der mit ihm heute Dienst hat lässt den Taugenichts früher, nach Hause, mit dem offen kund gegebenem Hintergedanken, dass er dafür am Sonntag früh heim darf.
Um Halb zwölf beendet der Taugenichts halb tot und todmüde seinen vierzehn Stunden stolpert die dunkle Treppe bis hoch in den dritten Stock und wirft in der Wohnung angekommen alles von sich, um... diesen Artikel zu schreiben. Weil es offensichtlich noch nicht genug war für heute. Und der Tag morgen geht ja auch erst um zwölf Uhr los. Und zwischen Uni und Arbeit gibt es zwei ganze Stunden Pause. Also gar kein Grund sich zu beschweren.

Ihr seht mir nach, dass ich heute keine Rechtschreib-/Grammatik-/Logikprüfung mache? (Nicht, dass ich das jemals getan hätte...) Auch die mal wieder völlig sinnfreie Absatzeinteilung, sei mir btite verziehen - Es ist jetzt Zeit hart in meine Kissen zu fallen und sanft zu sterben. Oh, Morpheus, let me rest gently on you muscular pecs!


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1 TuM-Studentin, Serienjunkie, Humor, Kellnerkollegin, rothaarig, Pfarrerstochter. Need I say more?
2 Mehr dazu bestimmt bald.
3 Der Gastredner – Ein Doktorand im Musiktheater – hat übrigens erstaunliche Ähnlichkeiten mit meinem Pseudostiefbruder-um-die-Eck'n.

Mittwoch, 6. Juni 2012

Buch: Hiobs Spiel

Irgendein Priester wird lachen, wenn ich zu ihm komme, um zu beichten!"
 
Als dieser Schreiber gefragt wurde, ob er die Lieblingsbuchreihe abschließen will, musste er sich überlegen wovon er schreiben soll. Bei Büchern ist es tatsächlich nicht schwer. Unter all den großartigen Werken, die ich gelesen habe, stechen nur zwei besonders hervor. Zum einen Christopher Moores A dirty Job , das wegen unkontrollierbaren Lachkrämpfen schlaflose Nächte bereitet hat und dann noch das andere, düstere, ekelhafte….

Schon bald werdet ihr euch fragen: Was soll das alles? Was ist der Grund für eine Erzählung mit so viel Gewalt, soviel Entsetzlichkeit und Not? Ich kann das noch nicht erklären, nicht gleich zu Beginn. Nicht einmal die Hauptfiguren wissen zu Beginn, was sie eigentlich tun und warum. Aber sie lernen. Sie sind unter Schmerzen dabei, sinnliche und übersinnliche Erfahrungen zu sammeln. Und genau so wird es euch ebenfalls ergehen. „Lohnt sich das?“ werdet ihr fragen. Ich kann nur antworten: Nicht für jeden.
Vieles von dem was hier verhandelt wird, ist wahr, ist zumindest bezeugt worden, und was nicht direkt wahr ist, wurde in Alpträumen durchlebt. Niemand würde sich so etwas einfach nur ausdenken. Niemand, der noch nicht verloren ist.“


Tatsache ist, dass ich, noch bevor ich an dieser Stelle, die ihr gerade lest, angekommen bin Pause machen musste, und erst weiter schreiben konnte, nachdem ich die ersten drei Kapitel gelesen hatte. Es war einfach zu schwer, etwas aus der zeitlichen Distanz in Worte zu fassen, dass so anders ist. Außerdem fand ich das Buch so cool, dass ich es nochmal lesen wollte. Und zwar jetzt.
Anders ist überhaupt das richtige Wort. Als konservativ-pragmatischer Grünwähler, steht dieser Autor eigentlich nicht auf Dinge einfach nur weil sie anders, neu, cool oder innovativ sind, was auch immer jeder dieser Begriffe bedeuten mag. Er lebt eher die Prinzipien „Wenn es nicht kaputt ist, müssen wir es nicht reparieren“ und „Brauchen wir den Scheiß wirklich, oder verschwendet er nur unsere viel zu kurze Lebenszeit?“
Kunst funktioniert aber eben anders .

„Ich bin zu weit von der plausiblen, kausalen Alltagsdimension entfernt, um die Regeln des magischen Realismus nicht zu beherrschen“, sagte Hiob oben, mit einer Stimme, die im Unterland wie eine milde tektonische Bewegung klang. NuNdUuNs menschliche Modulation imitierend, fügte er ätzend hinzu: „Ihr könnt mich nich verarschen, dafür weiß ich viel zu viel, mein Blatt ist leer, doch ich kann bluffen: denn das ist Hiobs Spiel. Und muß ich wirklich euch berichten, wie ich schließlich siegen werd? Ich kann ein As im Ärmel züchten und ich falt daraus ein Schwert.“

Hiobs Spiel ist anders, weil es anders nicht sein könnte. Schon die Typographie hat keine Lust mit zu spielen und verselbstständigt sich auf jeder Seite neu. Hier ist der Rand ungeheuer dünn, da hat er viel zu viel Platz, hier wechselt die Schriftart, da ist etwas durchgestrichen, und dann ist eine Seite leer, weil die Buchstaben den Platz brauchen um abzustürzen. Das Schriftbild ist tatsächlich genau das: Ein Bild. Und zwar eines, das in jedem anderen Medium nicht funktionieren würde. Vielleicht wurde dieses herrliche Werk deshalb noch nicht verfilmt. Vielleicht auch, weil im Herbst erst Band Drei von Zwölf erscheint. Vielleicht auch, weil der Inhalt zu krass ist.

Hiob schloß die Augen und betete. Er betete zum Tarotschlüssel 16, zum Herrn der Tiefen, zu den Erfindern der Göttlichen Ausgleichenden Gerechtigkeit, zum konsequenten Untergänger Emeric Blackvale und zu den Marx-Brothers. Und er betete, daß all dies hier viel zu aberwitzig, viel zu böse, viel zu grotesk und viel zu satirisch übertrieben, um etwas anderes sein zu können als ein psychosomatischer Zwangssymbolismus seines nervenfiebernden, aufgeriebenen, selbstzerstörerisch depressiven Geistes.

Krass ist auch so ein Wort, das treffend scheint. Der Inhalt ist abartig krass. Was dargestellt wird sind Misshandlungen übelster Art, die zweifellos aus einem sehr düsteren Ort in Tobias O. Meißners Kopf kommen müssen, Seitenlange Aufzählungen, in denen sich der Protagonist über die Widerlichkeit der Welt auslässt, Sex, so verzogen, dass wir es auch heute noch als Tabubruch ansehen müssen, so zu reden. Die magisch Anziehungskraft, die dieses Buch auf seine Leser hat – ich habe dieses Buch inzwischen in einige Hände gelegt, und alle waren sie begeistert – kann ich so einfach nicht erklären. Man ist abgestoßen, wenn man noch ein Mensch ist, findet es widerlich und traut seinen Augen nicht, aber trotzdem muss man weiter lesen, denn es war doch so… so… packend.
Packend ist nämlich alles an dem Buch. Es packt dich und schüttelt dich und wirft dich um sich verschluckt dich, kaut dich durch, speit dich aus und lässt dich vergewaltigt zurück.
Wie das funktioniert kann ich euch leider auch nicht sagen. Es ist eine eigene Erfahrung.

Was hat es mit diesem Pakt eigentlich auf sich?“
„Das lohnt sich nicht dir zu erklären. Vier Jahre reichen nicht aus, um das Ganze zu erfassen.“


Ich hasse es eigentlich Infos über Geschichte zu verraten, weil jeder Satz ein Spoiler ist. Vor allem hier. Den Namen des Protagonisten erfährt man erst auf Seite dreiundzwanzig. Was er treibt, warum er eine alte krepierende Frau ausraubt, und was zur Hölle es mit der Katze auf sich hat – All das sind Dinge die man erst im Laufe der ersten Buches erfährt.
So ist die Lage: Hiob Montag, ein junger langhaariger Magier in Berlin hat NuNdUuN, den Herrscher des Wiedenfließ’ zu einem uralten Spiel herausgefordert. Wenn Hiob eine gewisse Anzahl an Punkten erreicht, darf er NuNdUuNs Platz einnehmen. NuNdUuN ist irgendwie sowas wie der amtierende Teufel und das Wiedenfließ ist irgendwie sowas wie die Hölle. Nur das die Begriffe von Gut und Böse keine Rolle spielen, und Gott kein Teil des ganzen Systems ist. Hiob meint nur, er hätte sich erhängt, nachdem er die Erde erschaffen hat und sah, dass es nicht gut war.
Seine Punkte erhält er durch das meistern einiger Herausforderungen, die der „Teufel“ ihm stellt. Es ist wohl unnötig zu sagen, dass keiner jemals dieses Spiel gegen den Teufel gewonnen hat. Hiob in seinem jugendlichen Leichtsinn meint, er wird es schaffen. Er selber ist nebenbei bemerkt kaum sympathisch. Eigentlich ist er in seinem Vorhergehen ziemlich radikal. Er kennt Mitleid und kämpft wohl für das größere Gute, aber was zwischen ihm und seinem Sieg steht, ist ihm egal.
Aber die beiden sind nicht die einzige Hauptdarsteller. Da gibt es noch Widder, die Dämonin(?), die Hiob als Hilfe bekommen hat, seinen Vater und Lehrmeister der Magie, und natürlich die vielen Akteure, die gerne Seitenlang mit viel Hingabe vorgestellt werden, nur um dann in einer kurzen Szene von Hiob mit einem Raketenwerfer weggeblasen zu werden.
Ich will kein Fazit ziehen und euch erklären, wem dieses Buch gefallen könnte, wie ich es persönlich finde, und was der Weihnachtsmann damit zu tun hat. Ich will euch einfach nur nahe legen die – HEILIGE SCHEISSE, SIEBZIG EURO, die der erste Band inzwischen gebraucht auf Amazon kostet, AUF KEINEN FALL zu bezahlen. Kein Buch ist so viel Knete wert! Geht lieber und kauft was anständiges. Dafür könnt ihr euch die komplette Friends Superbox kaufen und habt dann noch genug Geld übrig, um euch im Plektrum ordentlich die Kante zu geben.
Ja, macht lieber das, als irgendwelche Bücher zu lesen.
Ist sowieso ein blödes Medium. Leuchtet nicht mal im Dunkeln und es per ICQ zu verschicken, ist ein irrer Schmerz im Arsch.

Tobias O. Meißner ist übrigens einer der vielversprechendsten und kreativsten Nachwuchsautoren Deutschlands. Bisher hat er mindestens achtzehn Romane, eine Comicreihe und wasweißichwas noch veröffentlicht. Ein beliebiges Werk aus seinem Oeuvre ist sicherlich eine ebenso spezielle Leseerfahrung wie Hiobs Spiel.


(Zuerst veröffentlich im Dispositiv, dem Medienblog eures Vertrauens. Deswegen ist er etwas anders, als das was ihr vielleicht sonst von mir gewohnt seid.)