Freitag, 23. März 2012

Slackerrecords: Aus dem Leben eines Taugenichts # 1

Es ist eigentlich gar nicht so spät, irgendwann nach Neun, nie nach Elf Uhr, wenn sich der Taugenichts in seiner Verantwortungslosen Zeit aus dem Bett schält. Müde öffnet er die Zimmertür und sieht vielleicht noch eine entfernt menschliche Gestalt, gegen das gleißende Licht der Morgensonne.
„Huwu Ahm wupfmnim“, sagt er schlaftrunken und torkelt zum morgendlichen Stuhlgang.
Erleichtert und mit schon mal halb geöffneten Augen zieht er sich zurück, Richtung Küche. Wer auch immer da im Licht gestanden war ist jetzt fort. Der Bademantel, der gerade noch mal aufgegangen ist, muss nicht wieder zu gemacht werden, und das macht den Taugenichts ganz froh, dass er so frei und unverklemmt in der Luft hängen kann. Er öffnet das Küchenfenster und sieht auf die Straße.
„HmmverfluchteJoggerelendesSportlerpackscheißGesundheitsnazis…“, brummt er – wisst ihr was er meint? – und nimmt sich Löffel, Schüssel und Milch aus dem Kühlschrank mit in sein viel zu großes Zimmer, um das Leben zu leben. Der erste Knopfdruck startet den Laptop, der zweite den Fernseher. Er sucht sich eine DVD raus, und wirft sie in den Player. Wenn er wieder auf seinem Schreibtischstuhl sitzt, ist der Rechner auch schon wieder hochgefahren. Mit einem entspannten Kratzen in seinen Niederlanden resigniert er ca. zehn E-Mails, die in den letzten Zwölf Stunden eingeflogen sind. Er reibt seine Augen und fragt sich kurz, wieso so viele Menschen ihm schreiben, was das soll, und erklärt wo sie hin fahren können. Ein Blick auf die IM-Programme soll ihm sagen, ob jemand interessantes zum chatten da ist. Dann fällt dem Taugenichts ein, dass ihm gar niemand einfällt, mit dem er im Moment schreiben wollte. Selbstzufrieden nickt er die Erkenntnis ab, und freut sich gar, über das holde Schicksal, dass ihn in die Situation gebracht hat mit niemanden reden zu müssen, wenn er das nicht will. Nebenher läuft schon lange seine hundertste Wiederholung von Buffy, und kurz hält er inne, um sich zu wundern, wie weit er in der Serie schon wieder ist. Die E-Mails werden alle sehr oberflächlich durchgeschaut und schnell wechselt er zum Internetbrowser. Facebook ist wie immer langweilig, bis der Taugenichts ein, oder zwei Kommentare entdeckt, in denen sein Eingreifen notwendig ist.
„Wo die Welt so ihre bloße Kehle zeigt, muss zugepackt werden, bis sie blau anläuft und um Gnade winselt.“ Es dauert ein bisschen, bis der Taugenichts merkt, dass er die letzten Worte laut ausgesprochen hat.
Dann wird das private Netzwerk verlassen uns apathisch werden Nachrichtenseiten nach interessanten Artikeln durchsucht.
„Nichts von alldem betrifft mich in irgendeiner Weise! Aber es macht wütend, dass irgendwo irgendwas passiert und niemand etwas dagegen unternimmt!“
Der Taugenichts hat ja sein Frühstück vergessen. Das war schon wieder die erste Folge von Heute, Nummer zwei wird gestartet.
Die Nachrichtenseiten, die gerade noch über weltbewegende Ereignisse berichtet haben verändern sich und berichten, über Serien, Popkultur und den allgemeinen Internetwahn. Irgendwo dazwischen liest sich der Taugenichts durch Scott Stevensons wöchentlichen Beitrag in „USA Erklaert“ durch. Nachdem alle Links im Beitrag erforscht wurden, alle Folgelinks durchgrast, ist es auch schon Zeit für Folge Nummer Drei.
Da klingelt es an der Tür. Es schnauft und keucht der nicht mehr ganz junge Postbote, der das Paket vorbeibringt.
„[Mutter der Mitbewohnerin]?“ fragt er. Der Taugenichts rollt mit den Augen.
„Ja, [Mitbewohnerin] ist meine Mitbewohnerin.“ Er verschweigt, dass die Mitbewohnerin die Tochter der Adressatin ist. Scheinbar hat die gute Frau bei Amazon wieder auf die falsche Versandadresse geschickt.
„Hum, ich brauche mal wieder anständiges Entertainment. Es ziert sich nicht, dass ein Medienwissenschaftler so schlecht ausgestattet ist, sagt er, als er durch seinen Ordner mit Verknüpfungen zu alten Spielen geht. Er klickt auf einen Icon seiner Wahl. Und die nächsten beiden Folgen vergehen wie im Flug. Bis der schreckliche Moment gekommen ist und die DVD gewendet werden muss. Jetzt ist irgendwann zwischen zwölf und dreizehn Uhr.
„Mittagessen! Großartig!“
Der Bademantel weht, als sich der Taugenichts in die Küche begibt und seine Vorräte scannt, obwohl er genau weiß, dass er nicht das hat was er braucht. Unwillig einkaufen zu gehen, wird er etwas kreativ und erschafft Essen aus dem Staub des Kühlschranks.
„Angebratene Zwiebeln mit Schupfnudeln Schinken und eine improvisierten Käsesahnsoße! Käsepampe! Mein Leibgericht!“
Der Gourmet teilt sich zwischen seinem DVD-Regal und dem Haufen angebrochener Serien unter seinem Fernsehen auf, bis er sich für ein etwas ernsteres Drama entschieden hat. Das ist Taktik. Solange das Essen auf dem Tisch kalt wird, kann er sich nicht zu lange aufhalten, aber ohne Fernsehen zu Essen wäre fatale Verschwendung von Zeit. Er setzt sich in sein Sofa, während er darüber nachdenkt was er in seinem Leben alles richtig gemacht hat, und welcher Teil davon nicht sein Verdienst war. Er kommt jedes Mal zum Schluss, dass er damit eigentlich nicht zu tun hat und nur einen sehr glücklichen Arsch hat. Er hat sogar jede Menge Fehler begangen und trotzdem wird ihm voll eingeschenkt. Nicht vor zu stellen, was passiert wäre, wenn er auf seinen Vater gehört hätte, und Theologie studieren… Nein, das ist wirklich ein zu furchtbarer Gedanke. Er könnte jetzt damit beschäftigt sein Hausarbeiten zu schreiben, oder Klausuren. Lächerlich!
Das ernstere Drama braucht volle Aufmerksamkeit, also tut der Taugenichts nach dem Essen nichts, außer es sich auf seinem Sofa gemütlich zu machen. Er bemerkt nach dem Ende der letzten Folge, wie spät es ist. Er hatte doch noch so viele Pläne für den Tag! Er wollte, einkaufen und malen und schreiben und die lästige Pflicht des Tages erfüllen.
„Was ist eigentlich die lästige Pflicht des heutigen Tages?“ fragt er sich selbst. Er schaut in seinen Kalender und beschließt, dass heute der perfekte Tag ist, um einen Arzttermin auszumachen. Gesagt, getan! Der Taugenichts ist ein Mann der Tat! Er braucht vielleicht fünf Stunden eitles Nichtstun, bis er etwas tut, aber dann muss es getan werden. Mutig sucht er sich die Nummer seines Pneumologen hinaus und lässt einen Termin vereinbaren.
„Nächster Dienstag! Ausgezeichnet! Ich werde da sein!“
Pfuh! Das war wieder ein Aufwand. Besser der Taugenichts erholt sich ein wenig, bei einer entspannenden Aktivität. Es fühlt sich heute nach malen an, beschließt er und holt seine Malkiste und greift sich die größte Leinwand, die er finden kann. Nur was malt er heute? Egal, er sucht sich erstmal eine Serie, zum nebenher ansehen. Wieso nicht die DVD die schon drin ist? Also wird die erste Six feet under Staffel eben zu ende gesehen. Six feet under… Beerdigung… Tod… malen wir doch einfach noch ein Bild von meinem DnD Charakter. Als der Flow gerade richtig anfängt zu... flown, klingelt es an der Tür.
„Das ist bestimmt wieder ein Postbote der irgendwas langweilig für irgendjemanden langweiligen bringt, der nicht Ich ist und dann noch nicht einmal den Anstand hat daheim zu sein.“ Der Taugenichts schleift sich zur Tür und lässt die Leute unten rein. Dann überlegt er sich, wie er die dreißig Sekunden, die Werauchimmer für die Treppen braucht, produktiv nutzt. Er beschließt sich eine Hose anzuziehen. Aber dann klopft es an der Tür. Wer auch immer steht schon oben. Es kann nur die Nachbarin sein, die sich beschwert, dass der Flur nach unserer letzten Hausordnung nicht genug geglänzt hat. Im Bademantel öffnet er.
„Wer stört?“ Er konnte so öffnen, weil er wusste, dass die Nachbarin nicht gut genug deutsch konnte, um sein Genuschel zu verstehen. Allerdings wurde er überrascht. Eine runde Frau und eine junge Frau, viel mehr ein Mädchen, standen vor der Tür. In der Hand Prospekte. Die runde Frau lächelte ihn an, während die Junge Frau mit ihren viel zu großen Wimpern klimperte und ihn verstohlen ansah. Unter anderen Umständen, sehr effektiv, um mich dazu zu bringen Dinge zu tun, die ich sonst nicht tun würde. Die Umstände blieben aber. Blond gefärbte Haare. Sie wollen was verkaufen.
„Guten Tag.“ Die alte Runde streckte mir einen Flyer entgegen. „Wir wollten Sie nur über den Tod unseres Erlösers informieren.“ Der Taugenichts überflog den Zettel. Arme Verwendung von Platz. Keine übersichtlichen Informationen. Zu viel Text. Zu wenige Bilder. Er war nicht interessiert. Nur eines wollte er noch wissen. Wer waren diese Leute? Könnte es sein…? Ganz unten fand er die Antwort auf seine Frage. © 2012 Watch Tower Bible and Tract Society of Pennsylvania. STRIKE!
„This is gonna be fuuuun“, dachte sich der Taugenichts in Communitys Brittas Stimme.
Sofort flogen seine Gedanken weiter zu Jehovas Most Secret Witness. Die Folge hatte er doch erst gestern gesehen. Da fällt ihm ein, dass heute eine neue Folge online sein sollte. Aber dafür war jetzt keine Zeit. „Unser Erlöser? Der Typ mit dem Bart und der Dornenkrone, richtig? Aber ich glaube doch gar nicht an Jemus.“ Eine klare Simpsonsreferenz. Völlig verschwendet an die Audienz.
„Ja, Jesus, unser Erlöser-“
„Aber ist er nicht Weihnachten gestorben? Ich dachte das dürft ihr gar nicht feiern. Hattet ihr nicht irgendwas gegen – ähm – Feiern und Spaß?“
An dieser Stelle lehnte der Taugenichts sich entspannt an seinen Türrahmen. Dazu musste er etwas nach vorne treten, in die Aura der Fremden. Im Traum hätte er nicht dran gedacht, dass das funktioniert. Der Bademantel tat seine Pflicht und sprang auf. Nur viel zu enge Unterhosen und sein Paar Hausschuhe bekleideten den Taugenichts.
Die Frau wich einen kleinen Schritt zurück und schaute pikiert. Das Mädchen sah Hilfe suchend zu ihre herüber. Der Moment war zu köstlich, um ihn nicht auszunutzen.
„Und was ist mit dir?“ wendete er sich an die errötende Blondine hinter dem Rücken der anderen. „Wirst du hier nur mitgeschleift und hast eigentlich kein Interesse an dem ganzen Scheiß? Oder wurdest du seit jungen Jahren der Gehirnwäsche unterzogen?“
Der Taugenichts bemerkte, dass sein Herz raste. Er war noch nie so grundlos respektlos gegenüber Fremden. Freunden, Familie, Kollegen, freilich, aber Fremde? Das war Neuland. Dann wiederum sind sie selber Schuld, wenn sie mit solchen schlechten Flyern hausieren gehen.
„Wir wollten Sie nur wissen lassen, dass der Erlöser für Sie gestorben ist.“
„Na, das haben sie jetzt ja getan. Ich hoffe die verschwendeten Stunden machen sich im Jenseits bezahlt.“ Und da knallte er die Tür zu.
In dem Moment fielen ihm all die Sachen ein, die er hätte sagen sollen. Ach, eine weitere Gelegenheit, die nicht ausreichend genutzt wurde. Verflucht!
Das Küchenfester stand noch offen. Wieder einmal war es Zeit sich hinaus zu lehnen, und über wahllose Passante zu schimpfen.
„Verfluchte Inlinefahrer! Fahren da so rum auf meinem Gehsteig und glauben, dass das in Ordnung sei! Ist denn schon Sommer, oder Was?“ Er hält einen Moment inne, als er bemerkt, was der Pflasterboden mit dem in der Sonne glänzenden Oberkörper der Brünetten Inlinerin macht.
„Ein guter Tag, um Inline zu fahren“, entscheidet der Taugenichts und schließt endlich das Fenster.

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