Donnerstag, 4. Oktober 2012

Slackerrecords: Fragmente



Also gut: Ich hatte euch an dem Wochenende einen herrlichen Artikel geschrieben. Der Titel wäre "Bohemian like you" gewesen und er hätte mal wieder mein herrliches Leben geschildert, das ganze mit sehr viel Verträumtheit und Earl Grey in der Hoffnung euch neidisch zu machen. Jedenfalls wollte ich mich hier mal wieder melden, obwohl ich ja auch so relativ viel Kontakt mit euch in dem letzten Monat hatte.
Natürlich ist mir der Artikel scheinbar flöten gegangen. Jedenfalls finde ich ihn jetzt nicht mehr.
Als Ersatz dafür kriegt ihr halt ne Zusammensetzung von Dingen die ich wohl irgendwann im Juli oder August geschrieben habe aber nie zu Ende brachte im Anhang. Man kann ein bisschen drüber lachen, wenn man jetzt ist.

Was passiert sonst so? An diesem Wochenende bin ich auf dem alljährlichen Kongress der Gesellschaft für Theaterwissenschaft zum Thema Sound und Performance. Einige wirklich interessante Gäste, darunter Erika Fischer-Lichte, die der Oberguru der modernen Theaterwissenschaft und vor allem des Begriffs des "Performativen" ist. Ich bin gespannt, ob die Theaterwissenschaften mich nochmal ein wenig mitreißen... Das ganze beginnt in einer Stunde, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich den ersten Vortrag heute Abend schon anhöre. Leider scheint das ganze Programm nicht gerade das Ende der Theaterwissenschaft zu sein, das mich interessiert.

Jedenfalls werde ich jetzt Essen gehen und ein bisschen über den verschwundenen Artikel weinen. Wenn ihr Lust habt könnt ihr in der Vergangenheit graben:

Das erste Fragment sieht sehr nach Posttheaterfeier aus.


Er wusste nicht wie oft er jetzt schon betrunken die Treppe hinauf gestolpert war. Gestolpert ist vielleicht nicht das richtige Wort. Es war schon lange kein Problem mehr. Die Treppen hoch zu steigen hatte er nüchtern schon oft genug geübt und auch betrunken war es nunmehr ein Kinderspiel. Aber jedes mal war eine dieser „blauen Blumen“ der Realität da, die ihn niederdrückte, so sehr nach unten, dass er fast meinte er müsste die Stufen zwei mal hoch laufen. Die Aussicht aber in wenigen Sekunden mit tauben Gliedern auf seinem Schreibtischstuhl zu versumpfen und diese Zeilen zu schreiben machten den Aufgang zu einem Kinderspiel.
Da hatte er wieder das Problem. Will er das zu einer Liebesgeschichte machen und vergessen um was es eigentlich geht, wenn er dem Leser nur sagt „Jaa, da ist wieder eine...“?
Eigentlich nicht. Aber bisher wusste er noch nicht was er gegen diesen Eindruck tun konnte. Es gab immer den einen „crush“ von dem er sich zum nächsten hangeln musste. Aber über die langen (langen?) Jahre als Single schienen sie schon ewig keine Rolle mehr zu spielen. Das sind eben immer so Phasen. Den Preis den man zahlen muss.
Ein geringer Preis. Er lies sich all die Blumen gerne durch die Lappen gehen, wenn er dafür sein Leben wie es ist weiterführen konnte. Und zufrieden mit tauben Gliedern in seinen Schreibtischstuhl zu fallen, um diese Zeilen zu schreiben.
Nur nagt sie da wieder, die blaue Blume. Diese Fernwehe, die ihn irgendwo hin zieht, von seinem Stuhl hinaus durchs Fenster, durch den sternenklaren Nachthimmel, am Mond vorbei an irgendeinen Ort, der weit fern von hier ist.
Der Taugenichts dachte ein wenig darüber nach. Ein Ort woanders. Nicht hier. Mit anderen Menschen. Anderen urgemütlichen Kneipen und anderen Dozenten und Mentoren. Dann könnte er woanders mit tauben Gliedern in seinen Schreibtischstuhl fallen und darüber schreiben.
Aber das konnte er hier ja auch. Der Taugenichts tippte seine Zeilen zu Ende und rollte zufrieden ins Bett. Er wusste, dass das Universum es gut mit ihm meinte. Alles fiel ihm so vor die Nase und er muss es nur noch aufheben. Solange er schön brav mit den Beinen und nicht mit den Rücken hebt, gab es keine Probleme.
Nur war da immer noch diese nagende Angst. Die Angst vor der großen kosmischen Rechnung, die kommt um einzufordern. Wahrscheinlich in Form einer Querschnittslähmung, weil er irgendeine Treppe nach oben runterfällt, oder einer schwangere Exfreundin.
Der letzte Gedanke jagte ihm einen Schauer über den Rücken. Nie wieder Sex, dachte er sich, bevor Morpheus seine Sorgen betäubte.

Das hier ist immer wahr und muss ab und zu mal gesagt werden:

Ich beginne den Anblick von Word, Open Office und allen anderen Schreibprogramm zu hassen. Das digitale Blatt schaut mich so herausfordern an, sagt mir „Fülle mich, zeig was du drauf hast!“ Und mein verfluchter Stolz kann nicht anders, als genau das zu versuchen. Wenn es mir gelingt bin ich nicht zufrieden, weil ich aus dem Sieg gerne ein Massaker gemacht hätte und wenn ich es nicht schaffe, dann muss ich den Schwanz einziehen und langsam verschwinden, mich davon schleichen wie der Feigling der ich dann bin. Angst vor der weißen Fläche...
Und so ende ich immer wieder hier, glaube die Wahrheit in wenige Worte fassen zu müssen und dabei entblöße ich nur mich selbst. Aber das ist das was man so tut, hm? Am Ende stehen da die Leute, und haben einen Einblick in die Tiefen des Autors gewonnen zu haben. Es ist wahr. Ich bin der Autor. Aber ich bin auch Fiktion. Das lyrische Ich, wie man so schön sagt, ich augenscheinlich nicht von dem Autoren zu trennen, aber doch etwas ganz anderes. Wenn ich also hier schreibe, dann bleibt letztlich von mir so viel übrig wie von dem Schauspieler auf der Bühne. Auch das bin ich natürlich, wenn ich hier schreibe. Man erkennt freilich in dem Gestus des Mannes da vorne, dass er sich verstellt, und wenn man ihn gut kennt, erkennt man seine eigene Ader in ihm, aber wichtig ist doch das eine: Wenn er da oben steht und spielt, spielt er. Völlig egal, ob er sein eigenes Ich als Referenz verwendet, oder nicht.
Der Text, den ihr hier lest ist natürlich voll und ganz aus einem Kopf entsprungen und damit nichts anderes, als die Gedanken eines echten, empirischen Autors. Aber wenn der Schauspieler auf der Bühne etwas verkörpert, dann lügt er genauso. Was ich wohl versuche hier zu sagen ist folgendes:
Alles was ich schreibe ist gelogen. Ihr könnt versuchen von dieser Lüge auf die Wahrheit zu schließen, und den empirischen Autor hinter dem fiktiven wieder zu finden, aber letztendlich könnte es auch nur sein, dass ich gerade eine gute Folge
Mad Men gesehen habe und mir gerade danach ist etwas zu verkaufen, was mir gar nicht liegt.
Und das sind so die Sachen, die mich davon abhalten zu schreiben. Kann ich einen gewaltsamen Mord beschreiben, ohne das jemand sich Sorgen macht? Oder eine Vergewaltigung? Und wenn man sich als Leser dann denkt, dass das zu weit von der Psyche des Autors entfernt ist, dann kann man das über jeden anderen Gedanken genauso denken. Ein gewisser dunkler Ort ist immer da, aus dem Dinge gezogen werden, die so gar nicht in die Alltagsgedanken des Autors passen.
Dann wiederum ist irgendwann der Wein alle, und der Autor hat keine Lust sich mehr Metagedanken über seine Schriften zu machen.

Wichtig ist er vor allem für solche Sachen. Entstanden nach einer Dernierenfeier im Juli in den frühen Morgenstunden nach dem nach Hause kommen:

Ich kam mir fast vor wie ein Raubtier. Ein Jäger. In dem Moment existierte ich nur, um meiner Beute willen. Und die Beute wollte gefangen werden. Alle Anwesenden starrten auf die Leinwand, fieberten mit, wollten teil haben an den Geschehnissen dort. Nur wir zwei Ausnahmen hatten sich etwas anderes in den Kopf gesetzt. Wir spielten ein altes Spiel. Beide hatten das gleiche Ziel, nur wollten wir es uns nicht zu einfach machen, so wäre das Ziel es gar nicht wert.

Mit tauben Gliedern saß ich schwer auf dem Boden, mit dem Rücken an die Wand gelehnt. Das Pianospiel war sauber, aber sie musste oft nach den richtigen Akkorden suchen, um ans Ziel zu gelangen, das machte das ganze Lied zu einer sehr steinigen Kutschfahrt. Die Verse die ich konnte, sang ich mit, aber es waren nicht viele. Irrelevant. Die Überwältigung nahm Überhand. Immer mehr versank er in der Musik und ihren Fingern, die mit jedem Anschlag weniger Hilflos, sondern professioneller wirkten. Ich versank in dem was aus ihr wurde, als sie ihre Seele über die Tastatur schüttete.

Meine Beute saß ein paar Plätze entfernt. Die Blicke hatte sie inzwischen gemerkt. Grandios, wie sie sich gab. So plump, aber so wirksam. Erst streckte sie sich und gab Preis was sie zu bieten hatte. Sie setzen sich so hin, dass ich sie in ihrer Gänze betrachten konnte. Ein Haarwurf hier, der wirklich nicht notwendig gewesen wäre, und das undezente Zurechtrücken der Kleidung. Immer wieder warf sie mir einen verstohlenen Blick zu. Ich saß da, die Hände über den Kopf gefaltet, entspannt, im Gegensatz zum Rest der Anwesenden, die durch ihre Freizeitbeschäftigung den Ereignissen auf der Bildfläche zu folgen allzu angespannt waren, und unverwandt starrte ich sie an. Immer wieder blickte sie herüber, nur um dann schnell wieder woanders hin zu sehen. Bis sie meinen Blick hielt.

In ihrer Musik sah ich Gott. Keine Vollkommenheit, aber die Suche nach etwas, was mir allzu vertraut vorkam. Lass mich sterben und gerne will ich den Moment für die Ewigkeit bewahren! Sie fand was sie suchte und beendete mit einem Abschluss, der nie hätte enden müssen. Eine kleine Klage darüber, dass sie nicht mehr weiß, wie man das Stück spielt, kam von ihren so perfekten Lippen. So egal, hörte ich mich denken. Sie drehte ihren Kopf zu mir, und sah die jämmerlich dahingeschmolzene Gestalt, die ich in dem Moment sein musste, und lächelte. Ehrlich und würdigend. Immer noch nicht zur Hälfte wusste sie, wie sehr ich sie gerade würdigte – verehrte. Sie wollte aufstehen und diesen herrlich tragischen Moment vergehen lassen und ich fühlte ihn dahin schlüpfen. Wie wenn jemand spät nachts in der gemütlichsten Runde die Uhrzeit verrät. „Es gibt keine Faser an dir, an deinem Leib, deinem Herz, deiner Seele, die in nicht begehre.“ Ich schrie sie beinahe an. „Was du mit mir machst, ist nichts geringeres als Gott zu beweisen.“
„Und ich liebe dich auch.“ Sanft nahm sie meine Hand, stand auf und ging. Gab es einen glücklicheren Idioten als mich?

Mit den Augen signalisierte ich schnell, dass mich der allgemeine Punkt der Aufmerksamkeit hier nichts anging. Ihre Bestätigung wartete ich kaum ab, dann lud ich sie dazu ein sich zu entschuldigen. Sie zwinkerte verführerisch zur Bestätigung. Ich stand auf und quetschte mich aus den Reihen heraus Richtung Treppe. Niemand brauchte den Notausgang im Moment und keiner denkt daran aufs Klo zu gehen, wenn sie so angespannt sind. Ich musste mich auch an ihr vorbei mogeln, und die Gelegenheit nutzte ich für einen letzten Check. Und da machte sie wieder alles richtig. Ihre eine Hand streifte mein Bein sehr knapp – sie ließ ihn lässig über ihre Rückenlehen hängen – und ihre andere gewährte mir einen Blick tief in ihren Ausschnitt, als sie ihr Oberteil ein weiteres mal zurecht zupfte. Wenige Minuten später kam die Wildfremde, die ich in diesem Moment schon zu gut kannte, hinterher zu den Automaten, wo ich auf sie wartete.
„Wenn dich deine Mutter so sehen könnte“, schnarrte ich zynisch.
„Halt die Klappe.“ Ihre Stimme war etwas feindselig. „Ich will, dass dir klar wird, dass uns niemand sieht, und niemand jemals erfahren wird, was du in den nächsten zwanzig Minuten mit mir machst.“
„Dann geh ich mal an die Arbeit.“

Und zuletzt, einen Text den ich wegen fehlender Pointe wohl nie veröffentlicht habe:

Um 6:47 Uhr weckt den Taugenichts prasselnder Regen und lauter Donner. Das wars wohl mit den Plänen am Vormittag vor der Uni schwimmen zu gehen. Alas. Wenn das Wetter heute Abend passt, dann kann er immerhin ein bisschen Geld verdienen gehen. Der Donnerstag hat immerhin zwei relativ entspannte Veranstaltungen, um dann das dreitägige Wochenende einzuläuten.
Es beginnt damit, dass eine Dramaturgin und zeigt, was alles so in einem Programmheft steht. Ja, das ist tatsächlich so sinnentleert, wie es sich anhört. Aber die Dozentin ist nett, und der Kurs ganz klein und überschaulich, also stimmt zumindest die Gesellschaft. Nach einem kurzen Mittagessen mit Kommilitonen haut der Taugenichts auf den Tisch und verkündet lautstark, dass er keine Lust mehr auf den ganzen Scheiß hat, und jetzt endlich mit dem Wochenende anfangen will. Also eilt er sich um 14 Uhr zum letzten Kurs in der Woche. Literatur und Gesellschaft des deutschen Mittelalters. Der intellektuell anspruchsvollste Kurs des Halbjahres. Leider. Wieso „Leider“? Weil er nur selten anspruchsvoll wird. Woran liegt das? Weil so viele Lehrämtler und andere Dumpfbacken drin sitzen auf die wir warten müssen. Aber der Dozent versteht es trotzdem, wie PD [tödlich arrogant und total cool] immer mal wieder den Kopf zu rauchen zu bringen, bei dem Versuch eine fremde Herangehensweise nach zu vollziehen.
Nach dem Kurs schwingt sich der Taugenichts auf sein Fahrrad, und freut sich, dass er nicht im Regen nach Hause fahren muss. Er lacht in den Himmel über das beginnende Wochenende, als ihm die Sonne verrät, dass schönes Wetter ja Arbeit bedeutet. Also guuut...
In der Kneipe seiner Wahl, muss er eine Stunde später die Tische schrubben, die Aschenbecher ausleeren, das Essen anschreiben und den ganzen Rest vorbereiten. Kaum fängt er an die ersten Gäste zu bedienen muss er in den Keller und das Weizen-(Waaaaaaz)-Fass wechseln. Dann schnell wieder weitertragen, zwischen Zapfsäule und Biergarten hin und her, kurz die Gäste innen übersehen, Essensbestellungen bei der Küche vorbeibringen und bevor er es sich versieht ist diese stressige halbe Stunde gekommen.
„Was? Natürlich war das bis zur Marke voll! Sie haben doch was abgetrunken!“
Danach kann er wieder ein wenig Eier schaukeln, sich mit dem obligatorischen einsamen Mann, der offensichtlich einfach nur nicht nach Hause will unterhält, bis es wieder weitergeht und alle Leute, die zum Abendessen gekommen, sind ihre nächste Runde bestellen oder zahlen und die Leute, die nur zum trinken kommen, sich gerade setzen.
„Unser Fleisch ist nicht ranzig! Scheren sie sich doch zur Hölle!“
Eine weitere hektische halbe Stunde vergeht und nicht lange danach, flüchten sich die letzten Gäste nach drinnen. Hier und da noch nachgefüllt, und schon verabschiedet sich der dritte Mann, die Bedienung, die früher Schluss macht.
„Moment, du warst der dritte Mann? Ich dachte ich bin der dritte Mann? Dann bleibe ich wohl noch hier...“
Aber schon bald, kann auch der Taugenichts das Trinkgeld zusammen rechnen, den Geldbeutel feierlich an den Chef geben und sich mit ein paar Euronen mehr in der Tasche nach Hause begeben, wo er jetzt endlich mit seinem Wochenende anfangen kann.




2 Kommentare:

  1. und wie war der kongress?
    übrigens, einiges von den texten kenn ich schon....

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Frak.
      Der kongress war in Ordnung. Nicht sehr spektakulär. Hauptsächlich Doktoranten, die sich profilieren wollen und Professoren, die alles besser wissen.
      Aber an einem Abend gab es eine Performance vokn Sienknecht (google...) die oberaffentittegeil war. Mit Popkulturreferenzen und Raumpatroullie Orion Countdown!

      Löschen