Theatertag. Es löst gemischte Gefühle bei dem Taugenichts aus, wenn er weiß, dass er abends ins Theater muss. Es ist nicht das schlechteste was passieren kann. Ein freier Abend hat Vorzüge, aber den kann er sich auch noch machen, wenn er nach Hause kommt. Das spielen ist wohl auch recht spaßig. Die Gesellschaft ist hervorragend. Die Routine etwas langweilig. Der Tag verläuft aber trotzdem unter einem Schatten. Er kann ihn gut genießen, bis zu dem Punkt, nach dem Mittagessen, wenn er bemerkt, dass er nur noch einige Stunden eitle Freizeit hat. Erst jetzt wird der Taugenichts richtig wach und beginnt sich um die schönen Künste zu kümmern. Er setzt sich hin und beginnt zu malen. Dazu läuft ein generisches Drama. Irgendetwas, wo man nicht unbedingt hinsehen muss. Ohne besonders schöne Bilder oder Schauspieler. Die Dialoge sind das, was eine seiner Gehirnhälften beschäftigen. Die andere ist schwer damit beschäftigt der Farbe gegenüber zu treten und sie zwingen zu wollen. Der Durchbruch geschieht immer kurz nachdem der Taugenichts dazu gezwungen ist aufzuhören, denn er muss jetzt ja ins Theater. Das Duschen kann er jetzt vergessen, umziehen lohnt sich ohnehin nicht, wenn man nur rüber geht und sich eine Maske ins Gesicht zu malen und ein Kostüm anzuziehen.
Kurz vor Neunzehn Uhr kommt er im Theater an. Zwei Minuten und Fünfzig Sekunden nachdem er seine Wohnungstür verlassen hatte. „Guckuck!“ Der Taugenichts weiß genau wie er seine Schlüssel werfen muss, damit sie auf der kleinen Ablage unter seinem Spiegel landet. Ein singendes „Hi-i“ begrüßt ihn von seinem Gegenüber auf der Bühne und das breite Grinsen und das warme Lächeln von zwei Mitspielerinnen durch die Spiegel an der Wand gegenüber des Eingangs nehmen seine Anwesenheit war. Sonst ist nur eine Friseuse da, die sich jeden Abend um die Haare der Protagonistin kümmert. In wenigen Minuten wird der Taugenichts diesen Moment nicht mehr von all den anderen unterscheiden können, in denen er die Maske betreten hat, so identisch waren sie. Man unterhält sich viel. Noch ist niemand da. Nur die, die lange Vorbereitungszeiten für ihre Maske haben, sowie der Taugenichts und sein Gegenüber, die das recht aufwändige Bühnenbild aufbauen müssen. Der Taugenichts setzt sich gerade hin, und als er gerade die Grundierung auf sein Gesicht aufgetragen hat, ist sein Partner bereit nach unten zu gehen und alle herzurichten. Immer zur selben Zeit. Um Kurz nach Sieben kommt er wieder hoch. Die Ensemble ist inzwischen fast vollzählig anwesend. Irgendjemand kommt immer später, und man unterhält sich darüber, ob die Person noch kommt, und wer anruft, wenn nicht. Aber bis auf einen Ausnahmefall – Eine gesegnete Abwechslung im Theatertrott des Taugenichts – sind alle da. Der Taugenichts ist gerade fertig mit Schminken und sich anziehen, als er wieder mal bemerkt, dass es noch zehn Minuten bis zum Einsingen sind, und dass er schon wieder zu früh gekommen ist.
In seinem ersten Auftritt als Teil des Chors beobachtet er die Protagonistin ganz genau. Wenn sie rechtzeitig den Weg nach hinten antritt, um sie zur richtigen Stelle mit ihrem Stab zu bedrohen, hat sie einen guten Tag, und die Vorstellung wird besser. Er weiß auch, wann er den Satz seines eigenen Gegenübers übernehmen muss, wann er ihn vergisst, und in welchem Moment es klar wird. Sein erster Blick ins Publikum verrät ihm wieviel los ist. Er durchleuchtet die letzten Reihen und versucht herauszufinden wieviel in der Finsternis frei sind. Dann blitzt etwas in der Ecke vorne. Ein akkustisches Signal. Ein vertrautes Kichern, gekoppelt mit dem richitgen Grinsen. Vorne sitzt die krähende schöne Juristin, frisch aus dem Urlaub im nahen Osten zurückgekehrt. Wie schön, dann wurde sie also nicht in die Luft gejagt! Der Taugenichts hat viel freie Zeit zum denken, während er die automatischen Bewegungen durchführt. „Gern Herrin, gern!“ Der Text sprudelt selbstverständlich aus seinem Mund. Niemand bemerkt, wie er seine eigenen Gedanken macht. Wie sein Kopf an ganz anderen Orten ist, als Teil des Massenornaments, sieht niemand sein Gesicht.
Der große Blonde reagiert weit aus sensibler auf die Anwesenheit der alten Freundin. Immerhin hatten die drei eine gewisse Vergangenheit zusammen, die verbindet. Während der Taugenichts und er große Blonde auf der Bühne stehen und spielen, sitzt die schöne Juristin im Zuschauerraum. Das ist das ungewöhnliche. Seit drei Jahren hat weder der große Blonde, noch der Taugenichts ein Stück ohne sie gespielt. „Freilich!“ Pause für Gelächter. Die Lieblingsstelle des Ensembles und der Moment in dem es sich entscheidet, ob das Publikum des Stück mag, oder sich langweilt. „Du kennsd doch des runde Ding, des Nochds am Himml is.“ Pause für Gelächter. „Des woar ich.“ Pause. „Etzt bin ich nunder gfalln! Hähähä!“ Der Taugenichts bekommt keine Einzelheiten mit, als er sich auf sein Spiel konzentriert. Hier hat er nicht den Luxus seinen Gedanken schweifen zu können. Jede falsche Bewegung, jede Millisekunde, die eine Pause zu lang oder zu kurz ist, entscheidet über die Pointe, und jede Pointe kann Gelingen und Niedergang des Stücks bestimmen. Der große Blonde, der zu diesem Zeitpunkt aber zu seinem Füßen kauert, ist keinen Schritt weit von der schönen Juristin entfernt. Die schöne Juristin wiederum ist am Theater bekannt für ihren sehr – sehr - markanten Lacher. Die Finger des großen Blonden bohren sich in das Bein des Taugenichts, als diesem gewahr wird, dass der Dritte Teil unseres Trios den Blonden aus seinem Spiel herausbringt. Der Taugenichts versucht mit einem ausladenden, betrunkenem Lacher seiner Rolle ihm noch ein wenig Zeit zu verschaffen, und der große Blonde ist Profi genug, um die Zeit zu nutzen. Er springt auf und ist sofort wieder in seiner Rolle.
Und so begann der Abend im Theaterkeller. Die Bar hat schon längst geschlossen, als das Trio immer noch alleine wie immer versumpft sind. Die schöne Juristin erzählt von ihrem Aufenthalt im Nahen Osten, von Mauern, die durch die Stadt gebaut werden und dem toten Meer. Der große Blonde erzählt von Frauen, Exfreundinnen und anderen Weibern, und der Taugenichts versorgt die beiden mit sarkastischen Kommentaren und weist sie immer wieder auf das Offensichtliche hin, dass das Theatervolk seiner Meinung nach sooft übersieht. Zu dritt schaffen sie es letztendlich vor die Tür. Liebesbekundungen werden ausgetauscht, wenn der große Blonde nach rechts verschwindet, und die anderen beiden nach links in Richtung ihrer Wohnungen verschwinden.
Der Schlüssel passt wieder mal nicht. Verwundert kratzt sich der Taugenichts am Kopf. Natürlich war er wieder vor dem Block C zum stehen gekommen und nicht vor seinem eigenem. Eine Tür weiter passt der Schlüssel plötzlich und der Taugenichts kann ganz langsam die Stufen hochklettern bis ins oberste Stockwerk, wo er sich bemüht so leise wie möglich zu sein, um die Mitbewohnerin nicht zu wecken.
Jetzt war er da, der Augenblick. Der Taugenichts lies sich auf seinen Schreibtischstuhl fallen. Jetzt konnte er kreativ werden.
für außenstehende wirkt es so, als habe der taugenichts ein ausgesprochen schönes leben...
AntwortenLöschenFür den Taugenichts schaut es ganz genauso aus.
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