Donnerstag, 14. Juli 2011

Donnerstag, 14.7. Die menschliche Möglichkeit II

Habe das Experiment „Die menschliche Möglichkeit“ beendet. Meine Vermutungen von vorgestern Nacht haben sich bestätigt. Der alkoholisierte Zustand gibt dem Menschen die Fähigkeit Details zu entdecken, die dem nüchternem Auge verloren blieben. Ich erinnere mich sehr gut an subtile Andeutungen in der Schauspielerei der Darsteller, die ich heute nur noch registriert habe, weil ich sie vorgestern bereits bemerkte. Paradoxer Weise scheinen die Sinne, wenn sie auch nicht gerade besser werden, zumindest schärfer zu werden. (Ich gebrauche schärfer hier im Zusammenhang mit „Sinnen“ um auf das Wort „scharfsinnig“ anzuspielen nicht auf die transmorphe Metapher der „scharfen Sinne“. Wie die Eigenschaft will ich nicht sagen, dass die Sinne scharf sind, sondern dass die kognitive Fähigkeit mit ihnen umzugehen besser ist.) Die Handlung war jetzt nicht mehr halb so unverständlich wie bei der ersten Sichtung. Interessanterweise konnte ich gestern im Laufe des Tages den größten Teil des Plots rekonstruieren, nicht weil ich ihn vergessen hatte, sonder weil ich ihn nie begriffen hatte. Die cerebralen Kompetenzen die ein Dimple-Scotch nimmt tun ihre Arbeit sobald sie zurückkommen. Bei dem zweiten Durchgang kannte ich den Plot bis auf wenige (teilweise wichtige) Details, die ich beim ersten Mal nicht bemerkte. Es sieht fast so aus, als ob der Einfluss von Old Blended einige bewusste Gedankengänge ins Unterbewusstsein verschiebt, wo man sie nach Einflussende wieder hervorholen kann, ohne den Auslöser der gehirnlichen Leistung erneut zu benötigen.
Eine weitere Beobachtung ist die Verstärkung des Phänomens, das ich gerne „pseudo-aleatorischen Rezeptionsfokus“ nenne. Hierbei handelt es sich um die These, dass die Aufmerksamkeit des Zuschauers durch so viele Faktoren beeinflusst wird, dass er scheinbar zufällig manche Momente in seinem Leben (Hier: in einem Film) intensiver wahrnimmt als andere. So passiert es, dass man sich an bestimme Sätze aus frühester Kindheit noch sehr gut erinnert, obwohl sie keine weitere Bedeutung haben, mit keinem Trauma verbunden werden und das Leben des Rezipienten nicht grundlegend verändert. Sie haben lediglich einen Eindruck hinterlassen und wurden durch mentale Postproduktion weitestgehend verändert (Um ästhetische Verarbeitungen zum Thema „mentale Postproduktion“ handelt es sich zum Beispiel bei Alain Resnais' „L'année dernièreà Marienbad“) – und die Gründe dafür sind vielleicht zu zahlreich und zu verborgen, um sie aufzuzählen. Schottischer Whisky scheint also diesen Effekt zu exponentialisieren, das heißt, dass einige Bilder und Szenen sich fotografisch ins Gedächtnis eingebrannt haben, während andere völlig verloren gingen. Bei der zweiten Sichtung waren solche Bilder noch zu einhundert Prozen präsent.
Unter all diesen Erkenntnissen konnte ich einzig den Namen des Experiments nicht mehr ganz nachvollziehen.
Problematiken des Experiments:
1. Der genaue Einfluss des ersten Durchlaufs auf den Zweiten kann nicht bemessen werden. Inwiefern hat sich die Wahrnehmung verändert, wenn man die Folge schon einmal betrunken gesehen hat?
2. Woher weiß ich, welche Erkenntnisse bei der ersten Sichtung verloren gingen? Welche Erkenntnisse habe ich aufgrund der Experimentsbedingungen übersehen?
Fazit: Für eine Klausur zur ästhetischen und technischen Erfassung eines Film wäre der moderate Konsum von Blended Scotch sicherlich empfehlenswert. Das damit einhergehend Problem ist viel mehr die Schwierigkeit einem narrativen Bogen zu folgen oder die menschliche Sprache in ihrer einfachsten Form zu verstehen. Für den Alltagsgebrauch danke ich vor allem an die Therapie, wenn man den pseudo-aletorischen Rezeptionsfokus ausnützen möchte Ist man zum Beispiel im Begriff zu heiraten, einen unvergesslichen Abend mit der Freundin zu verbringen oder sein Neugeborenes Kind zum ersten mal in den Armen zu halten kann ich den Konsum von 0,2 bis 0,4 Litern Scotch wärmstens nahe legen.
Der (hoffentlich) angehende Medienwissenschaftler

3 Kommentare:

  1. und wie passt das jetzt alles zu der these: "alkohol ist ein fallstrick für die seele"?
    M.

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  2. Hier kann ich nur die selbe Antwort geben wie auf die Frage meines Lateinlehrers: "Und wie passt die nackte Frau auf deinem Handout jetzt zu Cäsars 'De Bello Gallico'?" Nämlich: Gar nicht.

    Der Student


    Spricht man von der Seele, so redet man von keiner wissenschaftlichen Bestimmung sondern von einem spirituellen Umstand. Ich habe mich nicht ohne Wehmut gegen die Theologie entschieden und damit nicht die Qualifikation über so etwas zu referieren!

    Der (hoffentlich) angehende Medienwissenschaftler, der gerne mal seine Antwort von der Uni hätte, damit er nicht ständig die Klammer mitschreiben muss.

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  3. man könnte es auch einfach "weiterentwicklung" nennen...
    M.

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