Mittwoch, 5. Oktober 2011

Gefasel: Der Weg des Fleisches


Und mit einem Schlag war es wieder furchtbar heiß hier, sodass die Poren umgehend reagierten und den Schweiß heraus pressten. Dann sagte sie etwas, das unsere Beziehung für immer verändern sollte: “Es ist wieder so furchtbar heiß hier.” Sie lachte. Ich lachte mit. Aus dem gedanklichen Nichts entstand mit diesem merkwürdig gewöhnlichem Einverständnis ein seltsames Band zwischen uns Beiden. Denn mit einem mal passierte etwas, das bei uns noch nie zuvor passiert war. Wir waren uns einig. Wir waren uns nie einig. Viel mehr noch, wie hatten nie die Gelegenheit uns einig zu sein. Wir sprachen ja kaum miteinander. Ich atmete aus und nach wenigen Sekunden rollte ich mich zur Seite. Jetzt atmete auch sie tief durch. Die Hitze verging dieses mal nicht so schnell wie gewöhnlich. Ich befreite mich von dem Rest der Decke und sie tat es mir nach. Danach drehte ich mich zu ihr hin. Sofort legte sie sich auf die Seite mit dem Gesicht zu mir. Ob das alles bewusste Kopie war oder unterbewusst, durch Spiegelneuronen oder rein zufällig; Mir war es in dem Moment egal. Eine gewisser Schwermut überkam mich und drückte mich von oben herab runter in die Matratze. Ihr Gesicht direkt vor mir hatte ich bisher kaum gesehen, aber im medialen Geschwindigkeitszeitalter spielt das echte Gegenüber ja kaum noch eine Rolle: Jemand den man nur einmal oder nie gesehen hatte ist der beste Freund oder wenigstens ein Partner im Bett. Wenn man sich an die Person gewöhnt hatte, gewöhnt man sich auch schnell an das Gesicht, das mich jetzt mit leicht geschlossenen Augen ansieht. Der Hals und der Bereich unterm Kinn, das mir so wahnsinnig spitz vorkommt, faszinierten mich besonders. Die schmalen aber nach außen hin breiten Schultern, die sicher nicht dem allgemeinen Schönheitsideal entsprechen, könnte ich mir nicht besser wünschen. An den Rippen war vielleicht ein bisschen zu wenig Haut. Der Schwung der Hüfte ging bergauf zu einem kantigen, zerbrechlichen Becken, das immer noch perfekt ins Gesamtbild, oder besser Gesamtgefühl passt. Als ganze Komposition das wohl Göttlichste was einem Menschen jemals gegeben wurde. Nach dieser einen Stunde kommt mir alles schon so vertraut wie mein eigener Körper vor. Die Verschmelzung war schon abgeschlossen. Wir waren bereits Eins geworden. Jetzt lagen wir nur noch nebeneinander und fanden langsam den Weg in unsere eigenen Körper zurück.
Aber ich wollte nicht. Ich fühlte mich wohl. Fast schon geborgen. Und da erkannte ich was passiert war. Plötzlich waren Emotionen im Spiel. Das war so nicht abgemacht. Es war nicht geplant. Darauf waren wir nicht vorbereitet. Es waren keinen romantischen Gefühle. Nichts was mich dazu gebracht hätte unter ihrem Balkon eine Serenade zu singen oder andere Albernheiten zu machen. Aber trotzdem wurde mir klar, dass in diesem kurzen Moment der Übereinstimmung, über die plötzlich ach so hohe „Raumtemperatur“, wir zu etwas Einzigartigem geworden waren, was ich so bisher nicht erlebt hatte. Von Liebe keine Spur, aber Emotionen waren nicht weg zu denken. Ich konnte sie nach dieser Profansten aller Begegnungen nicht mehr so ansehen wie ich es bisher tat. Nach so einer Erkenntnis – Erkenntnis im biblischen Sinne – sah man sich komplett anders.
Nun hatte man ähnliche Begegnungen und eine gewisse damit verbundene Übereinstimmung ja schon ein paar mal mit genügend anderen Personen hinter sich gebracht, aber dieses mal war es anders. Und das durch einen einzigen Satz, der mir offenbarte, das nicht nur die Körper ineinanderflossen, sondern auch die Gedanken für einen Moment an dem gleichen Ort waren. Dort trafen sie sich und kurz und ineinander verschlugen trennten sie sich wieder und gingen vermutlich so weit auseinander wie es nur sein könnte. Nie im Leben könnte ich einen Menschen an den ich so doppelt gebunden worden bin wieder vergessen.
So sah ich das damals. Heute kämpfe ich um ihren Nachnamen, heute habe ich den Schwung der Hüfte vergessen und die Ebene zwischen Hals und Kinn kommt mir so schattenhaft vor wie meine Einschulung. Einen Moment aber habe ich nie vergessen. Der in dem sich schlagartig unser Schweiß vermischte und unsere Gedanken in einem kurzen Techtelmechtel die selbe Formulierung für das gleiche Wort fanden.

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