Montag, 10. Oktober 2011

Teil III – Konfrontation

Das war leichter als ich dachte. Schwitzend von der Hitze der vielen Kerzen stemmte ich mich nach oben. Ich packte den Müllsack voller Glassplitter und schloss ihn. Als ich ihn anhob ergab sich der Spiegel erneut über meinen Boden. Die scharfen Kanten hatten den Sack aufgerissen. Ich versuchte die Scherben häufchenweise in Zeitungspapier einzuwickeln, aber die Nachrichten aus der Welt waren zu schwer, als dass ich sie alle hätte schultern können. Ich packte die Scherben wieder aus, und suchte nach einem anderen weg. Wenn ich die großen Scherben alle zu kleinen Splittern zertrümmere, dann drücken sie weniger gegeneinander und schneiden vielleicht weniger in den Sack. Ich nahm einen Hammer und machte mich an die Arbeit. Ich klopfte und klopfte und klopfte, bis alle Scherben ganz klein waren. Meine Hand blutete. Mehr als einmal haben mich Splitter getroffen und ins Fleisch geschnitten. Mir machte das nichts aus. Ich denke ich lüge nicht, wenn ich sage, dass ich zu diesem Augenblick bereits besessen war den Müll endlich raus zu tragen. Ich sortierte den Spiegel in einen neuen Sack und zu Sicherheit stülpte ich einen weiteren drüber.
Inzwischen waren tausend kleine Kratzer auf meinem Parkettfußboden. Wie Narben, die mich immer daran erinnern wollen wo der Spiegel hing.
Meine Rechnung ging nicht auf. Die kleineren Scherben übten zwar nicht so viel Druck aus, aber dafür gab es noch mehr scharfe Kanten und irgendwo kam wieder eine durch und erneut sprang das beschichtete Glas vor meine Füße, als wollte es mich nicht loslassen.
Ich gebe zu, dass es wahnwitzig ist, aber dieser Spiegel, der jetzt schon eine gefühlte Ewigkeit hier in meiner Wohnung gelegen hat, hat mich aufgeregt. Ich nahm mir Schmirgelpapier und machte mich daran die Ecken jeder Scherbe abzuschleifen.
Ich verbrachte Stunden damit sie alle einzeln zu bearbeiten. Ich lernte sie kennen. Alle Einhundertundacht beschäftigten mich die ganze Nacht über. Ich schliff, ich feilte, ich machte Ecken rund, ich kontrollierte jede Kante mit meinem Zeigefinger, erst vorsichtig, dann etwas rascher. Es war eine Plackerei, aber ich bildete mir ein, ich müsste das tun. Anders würde ich den Spiegel nie aus dem Haus kriegen. Ich kehrte den Glasstaub zusammen, warf ihn in drei ineinander liegende Säcke, vorsichtshalber mit den drei gerissenen Säcken als Untergrund, und gab liebevoll die komplett harmlosen Splitter in den Sack. Heben konnte ich ihn allerdings nicht mehr. Ich hatte beim schleifen soviel Staub aufgewirbelt, dass die ohnehin schon zahlreichen Scherben noch mehr geworden sein müssen. Ich stand auf und öffnete die Tür, für den Weg nach unten. Wenn ich den Sack schliff, dann bekam ich ihn vielleicht die Treppe hinunter bis zur Restmülltonne. Sollten sich die Müllmänner darum kümmern. Was ich aber fand, war nicht das, was ich mir unter einem Müllmann vorstellte.
Vor mir stand sie, in eben jener Tür. Die Tür, die sie damals so unbarmherzig in mein Gesicht schlug. Durch das Knallen der Tür fiel der wacklige Spiegel damals von der Wand und zerbrach. Und jetzt, gerade als ich die Scherben aufgelesen hatte, steht sie da vor mir und sagt: „Gib mir das, ich kann es halten.“ Und sie nahm den schweren Sack mit Scherben und hob ihn so mühelos, als ob im Müllbeutel wirklich nur Staub und Splitter wären.

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